Exposé: Wissenschaft im Gespräch

Professor Udo Di Fabio, Direktor des Forschungskollegs normative Gesellschaftsgrundlagen (FnG), lädt die Wissenschaft zum Gespräch, um gesellschaftlichen Trends in Politik, Wirtschaft und Recht auf den Grund zu gehen. In der Vorstellung des Podcasts geht es um die Idee, im interdisziplinären Gespräch Brüchen im normativen Gefüge der Gegenwart nachzuspüren, die aktuellen Debatten zugrunde liegen. Im Austausch mit renommierten Expertinnen und Experten sowie dem wissenschaftlichen Nachwuchs wird deutlich: Vor wissenschaftlicher Neugier ist nichts sicher!

Hören Sie hier die Vorstellung des Podcasts. Diese und alle weiteren Folgen sind zudem verfügbar über Spotify, Apple Podcasts, Google Podcasts, Amazon Music und Deezer.


Folge 14 – Antisemitismus und Islamismus – und die nötigen Differenzierungen

Zu Gast: Susanne Schröter

Udo Di Fabio trifft auf die renommierte Ethnologin Susanne Schröter, die mit ihren Debattenbeiträgen zum Islam die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit auf sich zog. Im Gespräch mit der Leiterin des Exzellenzclusters "Die Herausbildung normativer Ordnungen" an der Goethe-Universität Frankfurt a. M. liegen Fragen nach normativen Gesellschaftsgrundlagen des Zusammenlebens, der religiösen Toleranz und moralischer Gebote wie rechtlicher Grenzen auf der Hand. Vor allem der eskalierte Nahostkonflikt hat eine Debatte über Antisemitismus und auch über die Haltung muslimischer Vertreter zum Judentum ausgelöst, etwa anlässlich der jüngsten Islamkonferenz. Susanne Schröter geht einen Schritt zurück in die Begriffs- und Ideengeschichte, um kulturell-religiöse Grundlagen eines christlichen wie eines islamistischen Antijudaismus aufzuzeigen. Gleichzeitig betont sie, dass sachliche Kritik am Islamismus ohne Islamophobie und Kritik an der israelischen Regierung ohne Antisemitismus möglich sind und sein müssen – gerade im universitären Raum. Was es dann heißt, in der Wissenschaft "umstritten" zu sein, wird ebenso Thema wie die Frage, wie man sich eine Meinung zum muslimischen Kopftuch erarbeiten kann, die von moralischer Bestimmtheit und lebensweltlicher Toleranz geprägt ist, und schließlich wie der Westen lernen muss, die eigene Hybris auch eines negativen Selbstbildes abzulegen.


Folge 13 – Putins Krieg um und gegen die Geschichte

Zu Gast: Andreas Rose

Die Geschichte lehrt durch Beispiele – so der Historiker Andreas Rose, Fellow am Forschungskolleg normative Gesellschaftsgrundlagen (FnG) der Universität Bonn. Der Ukraine-Krieg Wladimir Putins reiht sich demnach in eine Kontinuität russischen Imperialismus, auf deren langer Strecke seit dem 18. Jahrhundert jüngst Georgien, die Krim, der Donbass und nun die gesamte Ukraine liegen. Doch der (Rück-) Blick in die nahe und ferne Vergangenheit entdeckt neben einer fatalen Interdependenz auswärtiger Aggression und innerer Repression auch die Trümmer westlicher, europäischer und deutscher Außen- und Sicherheitspolitik – sowie Alternativen richtigen Handelns. In der Ukraine sind nicht nur Freiheit, Demokratie und die regelbasierte internationale Friedensordnung umkämpft, sondern ebenso das Geschichtsbewusstsein als Grundlage politischer Legitimität.


Folge 12 – Dogma vs. Pragma: Zum Islam in Deutschland

Zu Gast: Hatem Elliesie

Die (rechts-)ethnologische Forschung untersucht Normativität in der Rechtswirklichkeit. Für den Islam wie für jede Religion, so der Rechtsethnologe Hatem Elliesie vom Max-Planck-Institut in Halle, ist die Spannung zwischen normativer Doktrin und faktischem Alltagsverhalten, zwischen Dogma und Pragma kennzeichnend. Sie stellt besondere Herausforderungen an jeden einzelnen Gläubigen, aber auch an die ausdifferenzierte Gesellschaft und den säkularen Staat. Was bedeutet dies für die Debatten um den Islam und muslimisches Leben in Deutschland? Unter den Bedingungen der Religionsfreiheit und eines aufgeklärten Verständnisses von Integration, das daher nur ein dialektisches sein kann, verspricht  Bildung eine Aufklärung über religiöse Perspektiven und die Grenzen ihrer Anschlussfähigkeit. Hierin findet auch der Staat des Grundgesetzes einen produktiven Platz gegenüber religiösen Lebenswelten.


Folge 11 – Kann Künstliche Intelligenz fair sein?

Zu Gast: Christoph Lütge

In dieser Folge geht Udo Di Fabio im Gespräch mit dem Technikethiker Christoph Lütge den aktuellen Herausforderungen einer lebensweltlichen Implementierung neuester Digitaltechnologien auf den Grund. Da sich verschiedene Formen der Künstlichen Intelligenz bereits in unserem Alltag breitmachen, muss sich die Ethik nach langanhaltender Debatte über grundsätzliche Bedenken nun dem "wie?" widmen. Gerade das Problem der Reproduktion von Ungerechtigkeiten durch historische Pfadabhängigkeiten spielt dabei eine zentrale Rolle.


Folge 10 – Ausleuchten der "informellen Paralleljustiz"

Zu Gast: Mimoza Beciri

Alleine durch die von der Corona-Krise angestoßenen „Corona-Verfahren“ vor den staatlichen Gerichten zeigt sich, welche strukturelle Bedeutung die Gerichtsbarkeit in einer Gesellschaft besitzt. Die staatlichen Gerichte – als Immunsystem der Gesellschaft –  sind einerseits auf Konflikte angewiesen, andererseits müssen sie vor einer Überlastung geschützt werden. Alternative Formen der Streitbeilegung könnten dazu beitragen, stehen aber gleichzeitig im Konkurrenzverhältnis zur Rechtsprechung. Im Gespräch mit ihrem Doktorvater Udo Di Fabio beleuchtet Mimoza Beciri eine informelle Form der alternativen Streitbeilegung durch die sog. Friedensrichter im Bereich kulturell-religiöser Enklaven. Welche Institutionen sind im Rechtsstaat geeignet Konflikte zu lösen und gibt es nicht bereits auf globaler Ebene einen Rechts- und Gerichtspluralismus?


Folge 9 – Komplexe Gesellschaft und paradoxe Sehnsucht

Zu Gast: Armin Nassehi

Das Corona-Virus infiziert auch die Gesellschaft und setzt ihre ausdifferenzierten Systeme unter Stress – nicht zuletzt die Wissenschaft. Welche Immunreaktion zeigt das Wissenschaftssystem auf die Anforderungen der politischen Öffentlichkeit, die oftmals Sehnsüchte nach Eindeutigkeit weckt? Der Systemtheoretiker Armin Nassehi weist auf den Eigensinn der Gesellschaft und auf eine unentrinnbare Paradoxie: Liberale Ordnungen leisten Steuerungsambitionen faktischen wie normativen Widerstand. Setzt sich in der Pandemie dennoch eine Entdifferenzierungssehnsucht durch?

Literaturhinweise:
Armin Nassehi, Das große Nein, kursbuch.edition 2020.
Armin Nassehi, Muster. Theorie der digitalen Gesellschaft, C.H. Beck 2019.


Folge 8 – Rat im Leben, Trost im Sterben?

Zu Gast: Thea Dorn

"Auf den Grund!" führt diesmal im philosophischen Gespräch an Grenzen – des Lebens, des Sterbens, des Rechts in Zeiten der Pandemie. Die neuzeitliche Tendenz einer gesellschaftlichen Verdrängung des Todes sieht sich durch die neue Alltäglichkeit des Sterbens auch mit einer "psychischen Katastrophe" konfrontiert, die zu Ratlosigkeit führt und jedenfalls im Recht keine letzten Antworten findet. Sind wir in der Pandemie noch bei Trost? "In der Literatur darf man getrost ratlos sein", meint Thea Dorn, die in der Kunst "einen der verträglichsten Orte für Wut" findet und bei den antiken Stoikern nach Rat für eine womöglich alterweise Gesellschaft fragt.

Literaturhinweis:
Thea Dorn, Trost. Briefe an Max, Penguin 2021.


Folge 7 – Corona als ethischer Stresstest

Zu Gast: Christiane Woopen

Was ist die richtige Strategie im Umgang mit der Corona-Pandemie? Ethische Dilemmata stellen sich allerorts: Bei der Zulassung und Verteilung von Impfstoffen, bei der Reihenfolge sowie angesichts von Widerständen gegen Impfungen, in Triage-Situationen und in gesamtgesellschaftlichen Abwägungsprozessen zwischen Offenheit und Geschlossenheit. Auf solche medizinischen, ökonomischen, politischen und verfassungsrechtlichen Probleme lässt sich durch ethische Erwägungen verschiedentlich reagieren, wie die Medizinethikerin Christiane Woopen betont. Die Pandemie formuliert mit dieser – nicht zuletzt: politischen – Komplexität aus einer institutionellen Perspektive, die das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft in der Werteordnung des Grundgesetzes in den Blick nimmt, einen normativen Stresstest für die Gesellschaft.


Folge 6 – Klima-, Rechts- und Verantwortungswandel

Zu Gast: Gerhard Wagner

Das Klima, die Wirtschaft und das Recht bilden globale Systeme in der einen Weltgesellschaft. So gibt die Klage eines peruanischen Bauern gegen ein deutsches Energieunternehmen Anlass, im juristischen Gespräch mit Gerhard Wagner Wandlungen im Recht auf den Grund zu gehen: Klimaschäden, Kausalitäts- und Zurechnungsfragen werden verhandelt und führen zu Grenzverschiebungen in der Gewaltenteilung zwischen Gerichten und Gesetzgeber, zwischen Staat und Gesellschaft, die etwa auch die großen Digitalkonzerne berühren. Es ergibt sich eine dialektische Einsicht: Mit großer Verantwortung geht große Macht einher.

Literaturhinweise:
Gerhard Wagner, Klimahaftung vor Gericht, C.H. Beck, München 2020.
Udo Di Fabio, Metamorphosen der Zurechnung. Droht der Verlust personaler Rechtssubjektivität?, JuristenZeitung 75 (2020), S. 1073-1079.


Folge 5 – Transformationen der Wirtschaft

Zu Gast: Lars Feld

Welches Menschenbild und welche Rationalitäten treiben die politische Ökonomie, welchen Ordnungsrahmen benötigt sie? Lars Feld, "Wirtschaftsweiser" und Direktor des Freiburger Walter Eucken Instituts, vermisst die großen wirtschaftspolitischen Debatten um steigende Staatsverschuldung und Rettungspakete, um die Disruptionen der Geldordnung und des Bankensystems, die Kryptowährungen und Bargeldabschaffung in Aussicht stellen, um den Klimawandel, Kohleausstieg und den "Green Deal".


Folge 4 – Religiöse Entropie in der säkularen Gesellschaft?

Zu Gast: Peter Sloterdijk

"Der Intellektuelle ernährt sich von Illusionslosigkeit" – welche Kost bereitet ihm die Religion? Auf den Spuren von Max Weber, Hans Blumenberg, Karl Jaspers und anderen problematisiert Peter Sloterdijk ein anhaltendes, nur der Form nach säkularisiertes Bedürfnis nach religiösem Sinnüberschuss, das sich auch heute noch politisch und gesellschaftlich machtvoll artikulieren kann. Philosophische Aufklärung der Begriffe heißt dann, sich "politisch und existenziell der zweiten Meinung auszusetzen", und so auch in der säkularisierten Lebenswelt Vorurteile – nicht zuletzt deren eigene – nach allen Seiten aufzudecken.

Literaturhinweis:
Peter Sloterdijk, Den Himmel zum Sprechen bringen, Suhrkamp, Berlin 2020.


Folge 3 – Glaube und Wissen

Zu Gast: Petra Bahr

Im Gespräch mit Petra Bahr, Regionalbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover, stellt sich die so alte wie aktuelle Frage nach dem Verhältnis von Glauben und Wissen. "Sperrige" Begriffe wie Gott, Geheimnis und Leben bieten interdisziplinäre Herausforderungen, wenn rationalistische Paradigmen auf religiöse Kommunikation treffen. Dann wird deutlich, etwa auch im Fall der Menschenwürde und den Ansprüchen eines "Transhumanismus", dass transzendente Residuen in der säkularen Gesellschaft nicht vorschnell außer Acht gelassen werden sollten: "Der Mensch ist immer mehr als das, was er über sich selbst sagen kann und sogar mehr als das, was er über sich selber weiß."

Literaturhinweis:
Petra Bahr/Stefan Schaede (Hrsg.), Das Leben. Historisch-systematische Studien zur Geschichte eines Begriffs, Band I, Mohr Siebeck, Tübingen 2009.


Folge 2 – Wissenschaftliche Kommunikation in der Pandemie

Zu Gast: Hendrik Streeck

"Auf den Grund!" geht es diesmal mit dem Bonner Virologen Hendrik Streeck. Im Gespräch mit Udo Di Fabio wird nicht nur die aktuelle Lage der Pandemieforschung und -bekämpfung erörtert, sondern auch die Rolle der Wissenschaft selbst. Welchen Schwierigkeiten begegnet die Forschung in der Sache, welchen Hürden sieht sie sich zudem in der Kommunikation vorläufiger, oft unsicherer Ergebnisse ausgesetzt? Schließlich: Welche Verantwortung lastet angesichts politischer und gesellschaftlicher Erwartungen auf den Schultern der Wissenschaftler?


Folge 1 – Amerikanische Verfassungskrise oder agonale Integration?

Zu Gast: Clemens Albrecht

In der ersten Folge von "Auf den Grund!" diskutiert Udo Di Fabio mit Clemens Albrecht, Professor für Soziologie an der Universität Bonn. Ausgehend vom Beispiel der Auseinandersetzungen um die US-Wahl 2020 und die Richterbesetzung am US Supreme Court geht es im Vergleich zur Bundesrepublik um die Unterschiede der demokratischen Kulturen und Institutionen, um ihre Bedeutung für das Recht und ihre Folgen für die Rolle der Rechtsprechung.

Literaturhinweise:
Getrude Lübbe-Wolff, Das dysfunktionale Gericht, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 06.10.2020, S. 11.
Clemens Albrecht: Sozioprudenz. Sozial klug handeln, Campus Verlag, Frankfurt am Main 2020.